Fachbeiträge zu Deerhounds

"Der Deerhound ist in der Schweiz erst seit ein paar Jahren anzutreffen." Diese Annahme ist weit verbreitet und als Aussage ebenso falsch wie die Behauptung oder gar Anschuldigung, dass die Schweizer im letzten Jahrhundert nur an einheimischen Rassen interessiert gewesen seien. Tatsächlich schlief die Schweizer Kynologie in der Mitte des letzten Jahrhunderts noch ziemlich fest. England war den übrigen europäischen Ländern nicht nur punkto Hundezucht, sondern auch betreffend Veranstaltungen - Field Trials für Pointer und Setter, Sheep dog Trials, Water Trials für Labradors und als Rettungsübungen für Neufundländer sowie Windhundrennen - weit voraus. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts entdeckten englische Touristen den imposanten Bernhardiner. Als Queen Victoria 1840 zwei Hunde vom Hospiz kaufte, wurde der Bernhardiner quasi zum Modehund. 1881 wurde der englische St. Bernhard-Club gegründet, und die dortigen Züchter fühlten sich berufen, den Standard für die Rasse aufzustellen und England als Ursprungsland zu bezeichnen. Dies dürfte wesentlich dazu beigetragen haben, dass die Kynologen in der Schweiz wachgerüttelt wurden, 1883 die Schweizerische Kynologische Gesellschaft gründeten und das Stammbuch einführten. Zwar war das "Bernhardiner-Problem" vorrangig und auch die Schweizer Jagdhunderassen lagen den SKG-Mitgliedern sehr am Herzen, daneben hatten aber viele ausländische Rassen, worunter natürlich auch Windehunde, ihren festen Platz.

Viele der führenden Schweizer Kynologen stammten aus der gehobenen Schicht, waren dadurch nicht nur belesen, sondern auch in der Lage zu reisen und sich mit ausländischen Rassen und deren Eigenheiten vertraut zu machen. Diese Begegnungen und Erfahrungen fanden ihren Niederschlag in sehr ausführlichen Artikeln über einzelne Rassen oder Gruppen, die in den ersten Hundestammbüchern publiziert wurden und dem heutigen Leser zeigen, dass unsere frühen Kynologen über beneidenswertes Wissen und breite Kenntnisse verfügten. Eine solche Rassemonographie erschien im Band V des Schweizerischen Hundestammbuches (SHSB) 1893 über den Deerhound. Verfasser ist Johann Bernhard Staub, den Reisen nach Ungarn, Frankreich, England und Spanien geführt hatten, und der nicht nur weltoffen, sondern auch sprachgewandt war. Aus England brachte er eine bereits prämierte Deerhound-Hündin mit nach Hause sowie praktisch die ganze in englisch vorhandene kynologische Literatur. Seine Deerhound-Monographie, die 32 Seiten Text sowie eine grosse Anzahl Photos und Abbildungen umfasst, ist denn auch eine wahre Fundgrube für jeden, der Deerhound-Literatur sucht. Es dürfte wohl kaum eine Quelle geben, die er nicht gekannt, hervorragend übersetzt und in diesem Artikel wiedergegeben hat. Am Schluss des Kapitels über Abstammung und Geschichte schreibt er: "Dass wir keine einzige genaue überlieferte Beschreibung des Deerhound haben, ist unbegreiflich. Handelt es sich doch um eine so unendlich lange im Gebrauch stehende Rasse, um einen Hund, der beständiger Begleiter des Hochland-Adels war, verwachsen mit seinen Sitten und seinem Leben. Erwähnt wird er fortwährend, in Poesie und in Prosa, erschöpfend beschrieben nirgends. Ich glaube zwar, dass sich noch niemand die Mühe gegeben hat, gründlich über seine Vergangenheit und was uns noch hie und da überliefert sein mag, nachzuforschen. Vielleicht bringt uns eine interessante Arbeit George Cupples in Liverpool, deren Erscheinen leider durch den Tod ihres Verfassers verzögert wurde, wertvolles Neues über unseren Liebling." Staub war also bestens informiert, er hatte einige englische Züchter persönlich kennengelernt und war auch bereits im Jahr der Gründung des dortigen Deerhound-Clubs Mitglied desselben. Etliche seiner Zeitgenossen erinnerten sich daran, wie J.B.Staub mit einer Gruppe Deerhounds sogar durch die Strassen Zürichs ritt. Seine eigenen Erfahrungen sind ebenfalls festgehalten: "Als Stadthund mag sich der Deerhound weniger eignen; er muss Platz und Spielraum, viel, rasche und lange Bewegung haben, dann gedeiht er. Im Zwinger siecht er dahin und verkümmert. Zwar ist er zu Hause, im Gegensatz zu den meisten britischen Rassen, nicht unruhig. Mit gekreuzten Vorderläufen liebt er es, ohne sich zu rühren, anscheinend in Gedanken versunken, ruhig zu liegen. Nichts rührt sich am ganzen Körper, teilnahmslos für die Umgebung ruht sein oft melancholischer Blick in der Ferne, nur die Bewegung der Augenlider verrät ab und zu, dass Leben in diesem malerischen Körper ist.

Auch als Begleiter, zu Fuss und zu Pferd, ist er ruhig; erst auf offenem Felde bei rascher Gangart verändert er sich mit einem Schlage. In weiten, mächtigen Spüngen eilt er voraus, spielend jedes Höhen- und Breitenhindernis nehmend. Die feinen Lauscher halb aufrecht, hält er von Zeit zu Zeit plötzlich inne, der prächtig geformte Hals scheint um das Doppelte länger geworden zu sein, kühn blickt sein Adlerauge in die Weite: alles ist nun Leben, Kraft, Stolz an ihm. Der auf der Strasse eben noch wie faul dahinziehende Hund ist in seiner Erregtheit nicht mehr zu erkennen. Obwohl gegen jedermann ruhig und gut, macht er grossen Unterschied zwischen seinem Herrn und Fremden, denen er, im Gegensatz zu vielen Windhunden, nie folgt.

Grosse Treue spricht aus dem prächtigen Auge, wie wohl aus keinem andern Hundeauge in dem Masse. Nichts Arges verrät sein edler Blick, wie auch sein Charakter frei von Falsch ist...

Gegen Kinder sind sie sehr gutmütig. Ich habe selbst keinen Zwinger, meine Hunde sind tagsüber meist vor dem Stall oder liegen an der Landstrasse, wo am Platze eine Menge Jungens sich immer spielend herumtreiben. Die Hunde sind die Lieblinge aller geworden."

Während dieser wunderschönen Beschreibung wohl kaum etwas zuzufügen ist, muten seine Aussagen zur Aufzucht aus heutiger Sicht eher etwas merkwürdig an und könnten allenfalls bedeuten, dass die Rasse früher robuster, halt auch etwas kleinwüchsiger war als heute: "Die Aufzucht gilt allgemein als sehr schwierig. Licht und Luft, trockenes Lager, gesundes Futter, immer frisches Wasser und, sobald die Kleinen nur sich schleppen können, entsprechend grosse Spaziergänge und Ritte helfen wohl über vieles."

Innerhalb der SKG war J.B. Staub immer dort anzutreffen, wo besondere Not am Mann war. Sein spezielles Anliegen war die Gründung von Rasseclubs und damit verbunden eine geregelte Zucht der betreffenden Rasse. Selbst als SKG-Präsident scheute er nicht davor zurück, zusätzlich ein Amt in einem jungen Club anzunehmen. Obwohl er selber nie Bernhardiner besass, setzte er sich stark für die Verbesserung der Rasse ein und schrieb eine Broschüre darüber. Krankheitshalber demissionierte er 1903 als SKG-Präsident, seine angeschlagende Gesundheit dürfte auch der Grund gewesen sein, dass er nicht weiter Deerhounds züchtete. 1912 übernahm er allerdings nochmals das SKG-Präsidium, das er bis zu seinem Tod im Januar 1915 im Alter von nur 52 Jahren führte. Zeugnis des kynologischen Weitblickes von J.B. Staub ist auch die Tatsache, dass er dem Naturhistorischen Museum in Bern vier Deerhound-Schädel überliess, die sich heute in der Sammlung der Albert Heim-Stiftung befinden.

Im SHSB-Band V, in welchem die Deerhound-Monographie abgedruckt ist, sind auch die ersten drei Deerhounds eingetragen mit den Stammbuchnummern 717 bis 719. Es handelt sich hierbei um die beiden von Staub im März 1892 gezüchteten Rüden Scot Elerik (lichtgelb mit dunkler Schnauze) und Rob Roy II sowie deren Mutter Maida Ben y Venie. Es ist wichtig zu wissen, dass anfänglich nur an Ausstellungen mit dem ersten oder zweiten Preis ausgezeichnete Hunde sowie solche, die von der "Stammbuch-Commission" als "reinrassig und herausragend" erkannt wurden, eintragsberechtigt waren. Es wurden also keine Würfe eingetragen. Andererseits stand das SHSB auch im Ausland stehenden Hunden offen. Im Band VI (1896) sind neben drei in der Schweiz stehenden Hunden auch zwei im Besitz von Lieutenant v. Steiger aus Colmar und ein Deerhound im Besitz eines Hauptmanns im Tiroler Jäger-Regiment in Wien eingetragen. Je einen Eintrag finden wir in Band VII (1901) und X (1907).

Erst lange nach Ende des Ersten Weltkrieges, nämlich im 1926 erschienenen Band XXV, sind wieder Deerhounds eingetragen. Neben zwei Einzeleintragungen finden wir die erste Wurfmeldung: Cadix, Calife und Carmet du clos Béguin, gezüchtet von Mme Violet aus Frankreich. Wurfmeldung bedeutete aber zu der Zeit in keiner Weise, dass der ganze Wurf eingetragen wurde. Ein Teil des Wurfes konnte durchaus im Zuchtbuch eines andern Landes oder überhaupt nicht eingetragen sein.

Besonders interessant die Eintragungen des Bandes XXVII: Es handelt sich um einen Import aus dem damals berühmten englischen Zwinger "of Springfort", nämlich Jung Duik, und einen weiteren Import aus England, "St. Joan of Enterkine", gezüchtet von Miss Bell, die mit ihren Enterkine-Hunden über Jahrzehnte die Zucht in Grossbritannien mitprägte. 1929 sind wiederum drei Hunde von Mme Violet eingetragen, zudem finden wir einen ersten Hinweis auf den Zwinger "St. Ap's-Hagenthal": St. Ap's Mac Hagenthal wurde 1930 in Aarau in der offenen Klasse mit dem 2. Rang und "vorzüglich" ausgezeichnet. Als letzten Hinweis vor dem Zweiten Weltkrieg zeigt SHSB-Band XXXII (1933) das Photo einer Deerhound-Gruppe aus dem Zwinger "St. Ap's" im Besitz von Dr. La Roche von Rheinfelden sowie Ausstellungsresultate derselben.

Was hat es denn mit Dr. La Roche auf sich? Dr. R. Laroche, der sich zuerst für arabische Windhunde begeisterte, kaufte 1928 von Miss Hartley "Duick of Springford" sowie eine Hündin aus dem Kennel "of Ross", mit welchen er seine Zucht aufbaute. Auf dem riesigen Gut der Familie La Roche im Oberelsass konnte er seine Deerhounds zur Jagd verwenden. Da seine Hunde im deutschen Windhundzuchtbuch eingetragen wurden, finden wir im SHSB nur die wenigen obgenannten Hinweise. Leider fiel der Zwinger dem Zweiten Weltkrieg zum Opfer. Geblieben sind uns glücklicherweise einige Reflektionen La Roches über den Deerhound. Hier einige Auszüge:

"Als Tatsache für uns steht fest, dass die Rasse der Windhunde uralt ist und im Deerhound einen ihrer schönsten und adeligsten Vertreter besitzt und auch einen ihrer typischsten. Welchen, in ihm zusagender Umgebung zu halten und zu züchten, für seinen Besitzer eine Quelle ständiger Freude und Befriedigung ist...

Ferner wird sich der Hirschhund nie populär machen. Aristokrat - zu seinem Heil - drum nie volkstümlich, lässt er sich so leicht auch durch keine Mode herumkommandieren und für kurze Zeit vor deren Wagen spannen und prostituieren. Scharwenzeln, sich strafen lassen und handkehrum wieder schmusen und "lieb Kind" sein wollen, kennt er nicht. Wer drum in seinem Hund und Hausgenossen den Blitzableiter schlechter Launen oder nur einen übereifrigen, servilen Diener oder seinen Clown, Hofnarr und Spassmacher besitzen will, der suche ihn beileibe nicht unter den Deerhounds (obwohl man ihm ein unfreiwilliges Talent für Komik nicht absprechen kann). Dafür ist er aber, wenn man seine Persönlichkeit achtet und akzeptiert, umso anhänglicher an seinem Meister und belohnt diesen mit unverbrüchlicher Treue und Liebe...

Was den Deerhound nur zu seinem Vorteil, wie mich dünkt, von seinen kleinen Artgenossen unterscheidet, ist seine beherrschte, gezügelte Kraft, seine grosse Ruhe im Wohnraum mit oder ohne Beisein des Meisters, und eine beobachtende, überlegene Besonnenheit...

Dass sich nicht leicht Rasse und Masse zusammen zeigt, weiss jeder aufmerksame Tierzüchter. Der Deerhoundzüchter hat deshalb sein Augenmerk darauf zu richten, möglichst grosse Hunde zu erzielen, ohne dabei aus dem Schnitt und dem Adel herauszufallen, was nicht ganz leicht ist. Dies wird auch der Grund sein, weshalb etliche Deerhoundzüchter angeblich kein so grosses Gewicht mehr auf erhebliche Körpergrösse bei ihren Hunden "offiziell" legen möchten, dabei selbst aber heilfroh sind, wenn dank glücklicher Ahnenkombination ein hervorragend grosser und zugleich auch typischer Hund sich aus einem ihrer Würfe herausmacht..."

Nach dem Zweiten Weltkrieg haperte es mit dem Comeback des Deerhounds in der Schweiz. 1955 und 1963 wurden je eine Rotherwood-Hündin eingetragen, 1969 zum ersten und bis jetzt einzigen Mal ein Import aus Skandinavien: Mountbanks Mistral. Erst ab 1974 wurden Deerhounds in ununterbrochener Folge ins SHSB eingetragen, womit auch die Zeit begann, in welcher die meisten Deerhound-Besitzer in der Schweiz einander kennen. (Nur in Klammer erwähnen möchte ich die Windhundschau in Langenthal 1978, wo ich Pyefleet Bute und Upend Laurie im Besitz von Frau Gerber, Banrigh Dudh von Frau Rechner, Sgurrmor Torquil von Familie Berger und Aimwell of the Scottish Highlands im Besitz von Frau Matzinger kennenlernte. Frau Gerber schrieb übrigens bereits 1974/5 Artikel über den Deerhound für den Windhundfreund.) 1978 werden 4, 1979 gar 5 Importe eingetragen. 1981 fallen seit langem wieder einmal zwei Würfe: Unter dem Zwingernamen "Merrylegs'"werden zwei von Fam. Gringet in Frankreich aufgezogene Rüden eingetragen, wenig später fällt in unserem eigenen Zwinger der erste Wurf unter dem Affix "the Deerhunter". 1991 züchtet Marianne Del Sole ihren ersten Wurf "Fiadhaich", 1993 gibt es im Zwinger "from Highlanders Yard" von Familie Kühne-Hubert Nachwuchs und 1996 kann der erste Wurf aus dem Zwinger "Aghnadarragh" von Familie Germain eingetragen werden. Während weiterhin Deerhounds importiert werden, findet ein Teil der in der Schweiz gezüchteten Hunde im Ausland ein neues Zuhause.

Bisher (Ende1997) wurden von den vier letztgenannten Zuchten ins SHSB eingetragen:

- Aghnadarragh: 3 Welpen aus 1 Wurf

- Fiadhaich: 12 Welpen aus 2 Würfen

- from Highlanders Yard: 14 Welpen aus 3 Würfen

- the Deerhunter: 69 Welpen aus 11 Würfen

Während alle in der Schweiz geborenen Deerhounds im SHSB eingetragen sind, trifft dies leider für die Importe nicht zu. Deshalb bleiben einige Hunde ungezählt und unerwähnt. Auch der 1986 gegründete Deerhound-Club der Schweiz vermochte bisher leider nicht, alle Deerhound-Besitzer der Schweiz "unter seine Fittiche" zu nehmen. - Er wäre ja sonst wohl auch eine Ausnahmeerscheinung unter den Clubs!

In den letzten zwanzig Jahren hat die Anzahl Deerhounds in der Schweiz zwar stetig etwas zugenommen, glücklicherweise ist aber auch heute nicht zu befürchten, dass der Deerhound in nächster Zeit zum Modehund werden könnte. Folgende Feststellung, welche J.B. Staub 1893 gemacht hat, scheint ihre Gültigkeit nicht verloren zu haben: "Seine vorzüglichen äusseren und Charaktereigenschaften, das grosse selbst erworbene Ansehen, das er sich Jahrhunderte lang erhalten hatte und die heute nicht mehr nur blosse Nutzhundezucht, sondern in die weiteren Kreise schon gedrungene Freude am edlen schönen Hund bewahrten ihn vor gänzlichem Aussterben."

 

[dieser Artikel ist auch erschienen in "der Windhundfreund" Nr.218/4.1997 und "der Deerhound", offizielles Organ des Deerhound-Clubs der Schweiz, Nr. 4/97]