Fachbeiträge zu Deerhounds

Der Standard im Spannungsfeld Richter-Aussteller-Züchter

Frau M. Müller-Schneebeli

Die Aufgabe eines Richters ist es, nach Standard zu richten. Der Standard ist aber nur ein Grundgerüst. In den Standards heisst es selten, es "muss", sondern "soll", "erwünscht" oder "unerwünscht". Es sind also nur Richtlinien, keine klaren Forderungen.

Dies erklärt zum grössten Teil die Beurteilungsabweichungen der verschiedenen Richter. Individuell stellt sich der eine oder der andere Richter Forderungen, sei es in der Anatomie, in der Erscheinung oder im Erscheinungsbild. Für einen Züchter ist es meiner Ansicht nach wichtige ein Ergebnis der Beurteilung des Hundes in der Kombination der Ansicht Richter-Züchter zu suchen und zu finden. Das heisst, der Züchter ist vielfach informierter über seine Rasse, was Typ, Wesen, Zucht und Geschichte anbelangt, als es der Richter ist, er kann aber damit in der Zucht einseitig werden mit seinen Forderungen. Deshalb sollte auch das Richterurteil ein Bestandteil für die Zucht sein .

Es gibt Hunde, die an verschiedenen Ausstellungen unter verschiedenen Richtern differenzierte Wertnoten erhalten. Das ist für die Aussteller immer unverständlich. Ich konnte aber in all den Jahren beobachten.dass ein Hund mit korrekter Anatomie und einem vorzüglichen Erscheinungsbild selten aus der Wertnote "vorzüglich" fällt. Hunde mit Mängeln, wenig Ausstrahlung oder auch Ringunerfahrene können effektiv differenziert beurteit werden. In den letzten Jahrzehnten verfielen öfters Züchter und Rassevereinigungen der Idee, bestehende Rassen zu verbessern respektive dem Geschmack der heutigen Menschen anzupassen, anstatt das Ueberlieferte zu erhalten und zu pflegen. Jeder Richter und Züchter sollte meiner Ansicht nach ein "Pfleger" der gewählten und anvertrauten Rasse sein, und kein Streber nach Neuem und Extremen.

Bevor wir zum Standard kommen, noch einige Ansichten und Forderungen, die ich generell als sehr wichtig betrachte: Unsinnig ist, wenn nur auf gewisse Teile der Anatomie Wert gelegt wird, wie z.B. eine Zeit lang beim Bernhardiner auf einen grossen und imponierenden Kopf, dabei war es unwichtig, dass er hinten oft kaum stehen konnte. Leider wurde im Laufe der Rassehundezucht immer stärker an der markanten äusseren Erscheinung gearbeitet, und die Zeit der Luxus- und Renommierhunde begann, währenddem der Gebrauchswert der Hunde immer mehr in den Hintergrund trat. Sicherlich bekommt man, betrachtet man einen ruhig stehenden Hund, einen ersten Gesamteindruck. Aber erst, wenn man den Hund in Bewegung sieht, kann man erkennen, ob er auch die richtigen, ausgewogenen inneren Voraussetzungen hat. Was nützt eine hervorragende Hinterhand, wenn die entsprechende Winkelung in der Schulter fehlt- oder umgekehrt. Es ist unmöglich, dass die einzelnen Körperteile harmonisch arbeiten, wenn ihr Bau nicht aufeinander abgestimmt ist. Hunde, von denen Ausdauer und Schnelligkeit verlangt wird, müssen einen ausgewogenen Körperbau haben, insbesondere müssen sie eine korrekte Vorder- und Hinterhand aufweisen.

Vorführen im Ring: Es ist nötig, dass der Aussteller und sein Hund üben, locker und leicht und ohne grossen Zug der Leine im Ring zu laufen. Es ist bemerkenswert, wie völlig anders sich ein und derselbe Hund zeigt, je nachdem, ob ein unerfahrener Führer den uninteressierten, gelegentlich sogar widerstrebenden Hund an der Leine im Kreis herumzerrt, oder ob ein geübter Vorführer den Hund motiviert, sodass dieser aufmerksam und gespannt an der lockeren Leine trabt. Auch die Beziehung Mensch- Hund kann eine sehr positive Wirkung auf die Bewegung und Ausstrahlung haben.

Selbst ein gut gebauter Hund kann- wenn er schlecht gezeigt wird- um seine gute Note kommen. Nicht nur das! Es kann sogar passieren, dass ihm ein Hund mit gewissen Mängeln den Rang abläuft, nur weil dieser ausgezeichnet vorgeführt wird und sich dementsprechend präsentiert.

KOPF (siehe dazu auch Beitrag "Kopf")

Allgemein:

So sehr man auch in Versuchung gerät, den Hund nach der Qualität seines Kopfes zu beurteilen, liegt darin eine grosse Gefahr, der sowohl die Richter als auch die Züchter leicht und leider häufig erliegen. Ein typischer Windhundkopf muss zuallererst harmonisch zum dazugehörigen Körper passen, dies bleibt häufig im Eifer des Begutachtens ohne die nötige Beachtung. Verhältnismasse für den Kopf gibt es nicht, jeder Kopf muss sich, wie alle anderen Gebäudeteile auch, in das Ebenmass des Gesamtgebäudes einfügen. Nicht die Ausmessungen bestimmen den Adel, die Schönheit der Kopfform, die, wenn gut, edel, trocken, ganz unbestreitbar den Gesamteindruck des Hundes hebt. Wenn man selbst Hunde beurteilen will oder beobachtet, wie die Bewertung im Ring ausfällt, kann man feststellen, dass die Versuchung, den Hund "nach dem Kopf" zu bewerten, sehr gross ist, und dass dabei- im Sinne der Rasse- nicht immer vernünftig verfahren wird. Ein Züchter darf nie der Versuchung erliegen, Hunde nach dem Kopf zu züchten. Züchtet ein Züchter auf feine, lange Köpfe, wird er auch unweigerlich feine, leichte Hunde erhalten, Hunde, denen die Substanz fehlt. Daher mein Leitspruch beim Richten: Ein Kopf passt immer zum übrigen Körper des zu beurteilenden Hundes

Deerhound-Kopf:

Ein Kopf mit guten Proportionen, lang und flach, hoch getragen. Erwünscht ist ein guter Schnurrbart oder vielmehr seidiges Haar und ein schöner Bart. Dies ist kurz umschrieben, jedoch sicher genügend für die Beurteilung.

 

AUGEN

Die Augen sollen dunkel sein. Ein sehr helles Auge ist unerwünscht. (D.h. es muss nicht tiefdunkel sein, ein bluefawn Deerhound darf auch ein helles Auge haben.) Das Auge ist mässig rund. Der beschriebene Ausdruck ist an einer Ausstellung nie korrekt beurteilbar.

 

OHREN

Ein sehr typisches Merkmal des Deerhounds. Kurz beschrieben: Hoch angesetzt und- in der Ruhestellung wie die Ohren des Greyhounds- zurückgefaltet. Stehohr nicht erwünscht. Ein schlimmer Fehler ist ein grosses dickes Ohr, das flach am Kopf herabhängt oder mit langem Haar bedeckt ist. Das Ohr soll weich, glänzend und wie ein Mausefell anzufühlen sein. Je kleiner das Ohr ist, umso besser. Die Ohren sollen schwarz oder dunkelfarben sein, wie immer auch die gesamte Haarfarbe ist.

 

GEBISS

Ebenmässige Zähne. (Weiter wird nichts festgelegt!)

 

HALS

Der Hals soll lang sein, d.h. von einer Länge, die zum Windhund-Charakter des Hundes passt. Eigentlich genügt dieser Satz schon, denn der Hals passt auch immer zum Typ. Der hochgestellte elegante Deerhound hat auch einen eleganten Hals von guter Länge, und der gedrungenere kräftigere Typ hat auch entsprechend dazu den passenden Hals. Der Nacken soll an der Stelle, wo der Kopf angesetzt ist, stark hervortreten, und die Kehle soll am Halswinkel trocken angesetzt und vorspringend sein.

 

VORHAND

Die Schultern sollen gut abfallen, die Schulterblätter sollen gut zurückgesetzt sein. Zwischen ihnen soll es nicht zuviel Abstand haben. Ueberladene und steile Schultern sind sehr schwere Fehler. Die Vorderläufe sollen gerade, breit und flach sein, ein guter, breiter Unterarm und Ellbogen sind erwünscht.

Ausführungen zur Vorhand:

Der Grundstock für die ganze Vorhand ist das Schulterblatt.

Die schräge, gut zurückgesetzte Schulter ist massgebend für den Vortritt.

Das Schulterblatt hat der Länge nach in der Mitte einen Knochengrat, der zum Ansetzen der Muskeln dient. Dieser Grat ist beim Abtasten mit dem Finger deutlich zu fühlen. Stellen Sie den Hund in eine normale, ruhige Position, und denken Sie sich eine Linie als Verlänge-

rung des Knochengrates bis zum Boden. Hier ist dann etwa die Reichweite des Vorder-laufes.

Ist die Vorhand steil im Verhältnis zur z.B. stark gewinkelten Hinterhand, kann es durch den ungenügend aufgefangenen starken Schub von hinten zu einen, sehr unharmonischen Gangwerk kommen. Die mangelhafte Vorhand begrenzt auch die Leistungsfähigkeit der Hinterhand. - Bei allen Hunderassen ist der Oberarmknochen länger als das Schulterblatt. (Bis auf wenige Ausnahmen!) - Zusammengefasst kann man sagen, dass- je länger Schulterblatt und Oberarm und je schräger deren beider Lage- umso grösser sowohl die Bewegungsmöglichkeit des Laufs nach vorn wie aber auch die Schulterfreiheit ist.

Der Schräglage sind aber auch Grenzen gesetzt. Eine zu grosse Schräglage der Schulter bietet nicht mehr die ausreichende Festigkeit. Das kann schwere Bewegungsstörungen mit sich ziehen, da den Muskeln bei der Stemmbewegung eine übergrosse Kraftanstrengung abgefordert wird.

Zuallerletzt: Warum haben wir heute vielfach schlechte Schulterlagen bei vielen Rassen?-Weil heute vielfach versucht wird, auf grosse, imponierende Rassevertreter zu züchten.

"Ueberladene Schultern sind ein schwerer Fehler"- was heisst das?

Ein schmales, gut zurückliegendes Schulterblatt ist nie überladen, da es mit langen, schlanken Muskeln ausgestattet ist. Bei zu stark bemuskelter Schulterpartie'(=überladen) stellt man fest, dass das Schulterblatt kürzer und breiter ist und die Ellbogen dazu neigen, sich nach auswärts zu drehen. Meistens ist auch der obere Rand der Schulterblätter zu weit auseinander stehend.

Ausgedrehte Ellbogen können auch das Ergebnis zu grosser Anstrengung im Welpenalter sein. Dazu muss der Richter das Auge haben, da dies ein Schönheitsfehler ist und kein Zuchtfehler, der sich weitervererbt.

Zu breite Brust und abstehende Ellbogen führen dazu, dass der Hund die Pfoten im Stand- und noch vermehrt in der Bewegung- nach einwärts dreht.

Auch der angedrückte Ellbogen ist immer ein Fehler, da auf diese Weise der Körper auf den - ihn unterstützenden - Vorderfüssen ruht, statt, wie es richtig wäre, zwischen den beiden Schultern zu hängen. Angedrückte Ellbogen sind meist die Folge einer zu schmalen Brust. Dieser Fehler ergibt meistens die "Französische Stellung", indem die Vorderfüsse nach aussen gedreht werden.

"Die Vorderläufe sollen gerade und flach sein", d.h. es werden flache Knochen und nicht Röhrenknochen gewünscht. Diese sind von vorne gesehen schmal und sind seitlich gesehen breit, wie dies im Standard gewünscht wird.

Die wichtigste Aufgabe des Vordermittelfusses besteht darin, den Stoss federnd aufzufangen. Von vorne gesehen muss er senkrecht unter dem Unterarm stehen, von der Seite gesehen darf er nicht die gerade Fortsetzung des Unterarms bilden, sondern er soll leicht schräg zum Boden stehen. Ein zu steil gestellter Mittelfuss ergibt ein unelastisches Auftreten.

Vom Vordermittelfuss steht nichts im Standard.

 

RUMPF

Der Rumpf und der allgemeine Körperbau sind die eines Greyhounds mit erheblicherer Grösse und stärkeren Knochen. Die Brust ist eher tief als breit, aber nicht zu schmal und flachrippig. Die Lende ist gut gewölbt und zur Rute hin abfallend. Ein gerader Rücken ist unerwünscht. da diese Form für das Bergauflaufen ungeeignet und sehr unansehnlich ist.

Ausführungen zum Rumpf:

"Die Brust ist eher tief als breit" aber "nicht zu schmal und flachrippig", d.h. sie soll nicht so gewölbt sein wie beim Grey, aber auch nicht so flachrippig wie beim Barsoi. Hier muss das Mittelmass gefunden werden.

"Die Lende ist gut gewölbt und zur Rute hin abfallend. d.h. dass eine schöne und kraftvoll geschwungene Lende gewünscht wird. Nicht aber ein Rücken, bei dem der Schwung schon nach dem Wechselwirbel beginnt. Der Anfang der Lendenwirbelsäule ist die letzte Rippe, ihr Ende vor dem Darmbeinrand. Je kräftiger der Brustkorb nach hinten entwickelt ist, und je breiter die Querfortsätze der Lendenwirbelsäule sind, umso schöner und kraftvoller wirkt der Rücken.

"Rückenfestigkeit" ist keinesfalls nur Sache der Lendenwirbelsäule. Sie wird auch durch die Verbindung Lendenwirbelsäule-Kreuzbein und durch das Becken, seine Lage und Tiefe hergestellt, die durch Muskelverbindungen an der Brücke mittragen. Immer wieder zeigt sich, dass Vorzüge und Mängel sich nicht an einem Punkt zeigen, sondern immer mit der gesamten Körperstruktur im Zusammenhang stehen.

Die Kruppe, sie ist im Standard nicht vermerkt, hat aber für die Beurteilung der Hinterhand und der Rückenlinie eine wichtige Bedeutung. Die Kruppe muss einen sanften, leichten Abfall haben.sonst wirkt die Rückenlinie unharmonisch und eher gerade. Bei den Windhunden wird die gewünschte Schräglage der Kruppe durch das verhältnismässig kurze Becken ausgeglichen. Bei guter Länge hat auch die Kruppe ausreichend Platz für kräftige Muskeln und ist Bedingung für eine gut gewinkelte, kraftvolle Hinterhand.

 

HINTERHAND

Abfallend und so breit wie möglich, die Hüfthöcker weit auseinander. Die Hinterläufe sollen im Kniegelenk gut gewinkelt sein, grosse Länge. zwischen Hüften und Sprunggelenken, die breit und flach sein sollen. Ausführungen zur Hinterhand:

Der erste Satz bezieht sich auf die Kruppe (oben beschrieben).

Hüfthöcker weit auseinander heisst, dies ist eine gute Fortsetzung einer kraftvollen Lendenpartie.

Für alle Hunderassen gilt, dass die Hinterhand immer insgesamt ca. 6-10% länger ist als die Vorhand.

Die Ausgangsgrösse für eine gut entwickelte Hinterhand ist immer der Oberschenkelknochen von guter Länge.

Langbeinige Rassen- wie Windhunde- haben im Verhältnis zu anderen Rassen auch lange Unterschenkel.

Knie- und Sprunggelenk müssen gut gewinkelt sein. Die Sprunggelenke stehen tief. Der Hintermittelfuss muss länger sein als der Vordermittelfuss, aber doch nicht zu lange. Wenn das Sprunggelenk zu hoch steht, ergibt es nicht mehr die gewünschte Länge zwischen Hüfte und Sprunggelenk.

Von hinten gesehen müssen die Beine parallel zueinander stehen.

Das Verhältnis in der Anatomie muss immer stimmen. Es ist z.B. erwiesen, dass ein Hund mit langen, Rücken auch einen längeren Vorderund auch Hintermittelfuss hat.

Wenn von der Hinterhand verlangt wird, sie solle kräftig gewinkelt und gut bemuskelt sein, kann man dies am Bewegungsablauf gut erklären. Erst die ausreichende Länge von Ober- und Unterschenkel ermöglicht es, das Hinterbein ausreichend weit nach vorne unter den Körper zu bringen und eine gute Schrittlänge zu erzielen.

PFOTEN

Sie sollen geschlossen und kompakt mit gut gestellten Zehen sein. Gute Krallen!

Ausführungen zur Pfote:

Eine Katzenpfote, wie sie im Standard erwünscht ist, hat kurze, gewölbte Zehenglieder. Sie leistet- kompakt und gut geschlossen- mehr Widerstand gegen Verletzungen. Die nicht gewünschte Hasenpfote hat längere Knochen und kann oft den Stoss nicht federnd abfangen und ist, wegen ihrer langen, feinen Zehenknochen und Gelenken leicht Verletzungen ausgesetzt.

Hat der Hund gespreizte Pfoten, geht er unelastisch, wie ein Mensch mit Plattfüssen, und er braucht daher viel mehr Kraft.

Die Vorderpfoten sind meist grösser als die hinteren, was wegen ihrer stärkeren Belastung auch nötig ist: Beim stehenden Hund ruhen 60% des Körpergewichtes auf der Vorhand, beim laufenden Hund im Extremfall sogar das gesamte Körpergewicht!!

Was die RUTE, das HAARKLEID und die FARBE betrifft, ist dies rassespezifisch auf den Deerhound zugeschnitten. Darüber möchte ich nicht viele Worte verlieren, es ging mir heute im Besonderen um die Anatomie und die Zusammenhänge für einen guten Bewegungsablauf.

Einen für mich wichtigen Leitsatz möchte ich zum Schluss noch anbringen:

Lernen und nie vergessen sollten wir, dass Schönheit und Leistung untrennbar miteinander verbunden sind.

 

M . Müller-Schneebeli